Schräge Perspektiven
Ein selbstgemachtes Büchlein mit Seiten aus Geschenkpapier-Innenrollen. Es dient als Inspiration für die Gedichtform der Haikus.
Falten, reißen, kleben, binden: In einem selbstgemachten Journal halten wir Schreib-Ideen fest – und lassen uns gleichsam von seinen Seiten inspirieren. Das Büchlein „Schräge Perspektiven“ entstand aus den Innenrollen von Geschenkpapier sowie einem Umschlag einer Internet-Lieferung und bietet Platz für Farbe und Texte. Ich will es für Haikus im Rahmen des „100 days project 2024“ nutzen.
Für ein selbstgemachtes Büchlein braucht es nicht viel: Ein Lineal, ein Cutter-Messer oder eine Schere, einen Bleistift, ein Falzbein oder eine ausgediente Kundenkarte, Garn, Nadeln und eine Ahle oder eine Nähnadel, die wir auf einen Korken stecken. Dafür dient als Unterlage ein altes, dickes Buch.
Ideen aus der Improvisation
Das wichtigste Utensil aber ist für mich die Idee, die sich herauskristallisiert aus einer Melange aus Material und Einfall. Bei den selbstgemachten Büchern ist es wie mit der Improvisation: Im Momet des Tuns entstehen neue Einfälle, eine erste Idee wird rund.
Der Titel „Schräge Perspektiven“ entstand während ich das Cover gestaltete, herausgeschnitten aus einem Pappumschlag. Zuerst waren da Ausschnitte aus Architektur-Fotografien, dann Schnippsel von einfachen Servietten, Acrylfarbe auf den Fingern und ein paar Striche und Punkte von einem schwarzen Marker. Die Servietten durchkreuzten die fallenden Linien des Foto-Ausschnitts. Damit war der Titel geboren – und zugleich die Idee, was in das Büchlein hinein soll. Auch die Innenseiten sollen Farben, Formen und Kritzeleien als Grundlage und Inspiration für Gedichte bekommen.
5 - 7 - 5: Was ist ein Haiku?
Ein Haiku ist ein Kurzgedicht von drei Zeilen, die erste Zeile umfasst fünf, die zweite sieben und die dritte wieder fünf Zeilen. Nun kommt es darauf an, mit diesen wenigen Zeilen, Silben und Buchstaben einen poetischen Punkt zu erfassen. Wir können von der Betrachtung eines Blatts zum Baum kommen, von einem Regenwurm zum Weltgeschehen. Es geht um die Essenz einer Wahrnehmung, einer Vorstellung, einer Aussage.
Ich falte sie neu.
Essenz eines Buchs.
Die Essenz des Büchermachens
Die Herstellung selbst ist ein Tun, dass sich auf das Wesentliche konzentriert: Ich reiße gerne das Papier für die Innenlagen mit den Händen, anstatt die Ränder mit einer Schneidemaschine punktgenau zu glätten. Ich nehme gerne gebrauchtes Papier und gebe ihm eine neue Bedeutung, anstatt auf weiße Seiten zu starren und nach ersten Ideen zu ringen. Und ich male gerne mit den Fingern, anstatt perfekte Formen mit dem Pinsel zu versuchen. Das Rohe liegt mir, es ist für mich die Essenz des Büchermachens.
Selbst die verwendeten Materialien sind für mich wie Essenzen von Buchbestandteilen: Gebrauchte Seiten inspirieren mich zu neuen Ideen, Umschläge und Collage-Teile führen mich zu neuen Konzepten und – am Rande bemerkt – bekommt Gefundenes, Gebrauchtes und Vergessenes so einen neuen Rahmen. Und ganz nebenbei ist das nachhaltig und Ressourcen schonend.
Wie Inspiration passiert ...
Wie ein Frosch springe ich von Idee zu Inspiration und zur nächsten Idee
- 1. Idee: Aus den Innenrollen von Geschenkpapier mache ich Buchseiten
- 2. Idee: Aus einem Versandkarton mache ich den Umschlag
- 3. Idee: Ich verstärke den Rücken mit einem Pappstreifen
- 4. Idee: Ich entscheiden mich für eine Heftung mit der Option, einen Gummiband um das Büchlein zu legen
- 5. Idee: Ich entscheide mich, zu dem braunen Kraftpapier etwas in Schwarz-Wweiß auf den Umschlag zu machen - und finde dafür Architekturfotos
- 6. Idee: Zu den Fotos finde ich in einer Schublade einfache Papierserviertten mit schwarzen Streifen. Ich trenne die unteren beiden Lagen der Serviette ab und klebe kleine Streifen über die Fensterstruktur
- 7. Idee: Ich kritzele mit Kohle über den Umschlag - und nehme einen schwarzen Marker dazu.
- 8. Idee: Die Fensterlinien mit den Papierservietten markieren eine schräge Perspektive: Et voila - da ist der Titel für mein Büchlein.
- 9. Idee: Mir fehlt noch etwas: Mit weißem Gesso auf den Fingern kringele ich weiße Kreise auf den Einband, das sich mit der Kohle zu einem milchigen Mond entwickelt. Der Umschlag gerät nun zu einer Nacht-Szenerie. Also rühre ich mit dem Finger etwas gelb darüber. Das Gelb wirkt kühl, nacht-kühl.
- 10. Idee: Das kühle Gelb möchte ich im Garn aufgreifen, mit dem ich das Bändchen nähen will. Und in meinen Utensielien finde ich ein neongelbes Bäckerband und eien gleichfarbigen Spanngummi.